Sebastian Claren
Komponist

Was möchten Sie mit Ihrer Musik herausfinden?
Wenn wir wirklich über ‚herausfinden‘ sprechen, vielleicht: was geht, was geht nicht? Was verändert sich, was verändert sich nicht? Oder auch: wie verändere ich mich – was interessiert mich heute, was mich vor zwanzig Jahren überhaupt nicht interessiert hätte… Aber, ganz ehrlich, ich bin nicht sicher, ob es so viel Musik gibt, die wirklich etwas ‚herausfinden‘ möchte. Die Idee der künstlerischen Forschung legt das vielleicht nahe, aber von wie vielen Musikstücken würden wir denn tatsächlich sagen, dass die Autor:innen mit ihnen etwas herausgefunden haben? Außer, dass das, was sie machen, eben möglich ist. Und dass es vorher vielleicht nicht möglich war. Selbst ein so offensichtlich themenbezogenes Stück wie Johannes Kreidlers Charts Music fragt doch nicht wirklich, was es mit den Aktienkursen zur Zeit des Börsencrashs auf sich hat, sondern nur: ist es lustig, das mit billiger Musiksoftware nachzuspielen oder nicht? Geht das? Ist das zynisch, oder lustig, oder ist gerade der Zynismus lustig? Also, ich denke, die Fakten, das Material, was auch immer, mögen immer verschieden sein, aber die Fragen bleiben sich doch ziemlich ähnlich: Geht das? Was passiert, wenn ich das mache? Und wenn es nicht geht, was mache ich dann? Wie gehe ich damit um?
Wie gehen Sie mit der Musikgeschichte um?
Früher wollte ich so wenig wie möglich Musikgeschichte in meinen Stücken haben – was nicht heißt, dass sie gar nicht vorhanden war, aber sie war auf ein Minimum beschränkt – ich wollte meine Stücke so weit wie möglich von Voraussetzungen befreien und in gewisser Weise von Null aus aufbauen. Heute ist genau das Gegenteil der Fall: Es gibt eigentlich keine aktuelle Musik von mir, die sich nicht in irgendeiner Weise bewusst auf ein anderes, historisches oder aktuelles Musikstück, bezieht. Dies war eine allmähliche Entwicklung, vermutlich habe ich einfach das Interesse an der Idee der hermetisch auf sich selbst bezogenen Musik verloren. Der entscheidende Punkt war aber, als ich mich in den 2010er Jahren intensiv mit der traditionellen koreanischen Musik beschäftigt habe. Plötzlich hat sich für mich europäische Musik fremder angefühlt als ostasiatische. Ich hatte nicht mehr das Gefühl, Teil dieser Musikgeschichte zu sein, musste mich also auch nicht mehr dagegen wehren – das hat es für mich möglich gemacht, mich mit ihr als Fremdkörper in meiner Arbeit zu beschäftigen. Die Frage war nicht mehr, wie kriege ich das alles aus meiner Musik heraus, sondern, was passiert, wenn ich dieses Stück in diesem Zusammenhang als Grundmaterial für meine Arbeit benutze. Und das war plötzlich eine extrem interessante Herausforderung.
Konzertsaal oder draußen?
Ich fühle mich in Konzertsälen nicht besonders wohl, vielleicht, weil sie sich zu sehr anstrengen, Musik in eine privilegierte Position zu bringen. Natürlich weiß ich es zu schätzen, wenn ein Konzertsaal eine hervorragende Akustik hat, so dass, z.B., wirklich jedes Detail eines komplexen Stücks durchhörbar wird und ein gutes Orchester seinen Klang perfekt entfalten kann. Aber ich kann nicht behaupten, dass mich das wirklich glücklich macht. Es ist vielleicht ein bisschen zu luxuriös. Draußen (wenn damit ganz draußen, also im Freien, gemeint ist) finde ich eigentlich immer, dass die Musik stört. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich etwas hinzufügen muss, wenn ich im Freien bin. Im Gegenteil finde ich das, was um mich herum passiert eben auch akustisch viel interessanter als die Idee, da noch etwas hineinsetzen zu müssen. Für mich sind die Off-Spaces am interessantesten: Wenn die Akustik dort nicht ideal ist, finde ich das nicht störend, sondern eher eine interessante Herausforderung. Damit verbindet sich für mich auch der Wunsch, das Konzert nicht als eine Folge von einzelnen Nummern zu verstehen, sondern als ein komplette Aufführung zu gestalten und damit immer auch auf den Raum zu reagieren. Das ist aus meiner Sicht auch eine Möglichkeit, die traditionellen Konzertsäle so umzunutzen, dass sie sich ein bisschen wie Off-Spaces anfühlen. Die Idee des Palais de Tokyo in Paris als Konzertsaal umgesetzt wäre für mich ein Ideal, auch wenn das auf seine Weise natürlich ein extrem luxuriöser Ort ist – aber mit dieser Art von Luxus könnte ich leben.
Sebastian Claren, 23. Juni 2025