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Kaija Saariaho

Komponistin

Kaija Saariaho kam am 14. Oktober 1952 in Helsinki zur Welt. Wie alle später europa- und weltweit bekannt gewordenen klassischen Musikerinnen und Musiker Finnlands studierte sie an der Sibelius-Akademie ihrer Geburtsstadt. Doch von dem konservativen Klima der gerühmten Akademie war die junge Saariaho ganz und gar nicht begeistert. Deshalb gründete sie zusammen mit jungen finnischen Kompositionskollegen – darunter Jouni Kaipainen, Magnus Lindberg, und Tapani Länsiö – eine Initiative: »Korvat Auki«, deren ursprünglicher Name meist als englisches Pendant (»Open Ears«) durch das Netz wabert. Diese Initiative zur Verbesserung der Sichtbarkeit avantgardistischen Komponierens in Finnland mag für Saariaho von besonderer Bedeutung gewesen sein. Nicht einfach nur daheim im stillen Kämmerlein Noten auf Papier bannen, sondern sich auch (organisiert) herausbewegen; in Richtung Darmstadt, Donaueschingen und Co.

Bald wechselte Saariaho an die Musikhochschule Freiburg, wo der New-Complexity-Partituren-Designer Brian Ferneyhough seit 1978 als Kompositionsprofessor arbeitete. Bei ihm wird sie die Möglichkeiten genauer Notation emsig erforscht haben, die Konzentration auf das, was klingt, auf das, was als Klang erzeugt werden soll – um von der Imagination oder praktischen Ausübung zu einem Notationsergebnis zu gelangen, das (ungewollte!) Zufallsfaktoren ausschließt. Doch im Gegensatz zu einer ganzen Reihe von Ferneyhough-Schülern ahmte Saariaho den Notationsfetisch Ferneyhoughs nicht nach. Stattdessen entwickelte sie eine ganz plastische, zugängliche Art und Weise, ihre Klang- und Verlaufsfantasien in gut realisierbare Partituren umzusetzen. Die Traumversunkenheit etwa ihrer Ballade für Klavier aus dem Jahr 2005 entsteht so zwar durch polyrhythmische Strecken, die vom kontrapunktischen Festhalten einzelner Töne zusätzlich angereicht werden. Saariaho hat es darüber hinaus aber schlichtweg nicht nötig, ihrer Musik den Nimbus des »Unspielbaren« mittels x-fach durchbrochener X-Tolen überzustülpen, um »Komplexität« vorzugaukeln.

Entsprechend ihrer avantgardistischen Bestrebungen war Saariaho mehrere Mal bei den legendären Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik zu Gast. Hier musste sie sich in einer lange stark von Männern dominierten Szene durchsetzen. Später kam ein verstärktes Interesse an ihren Kompositionen wohl deswegen hinzu, weil sich nun verschiedene Institutionen der – als »Trend«! – rein marketingseitig angefachten Förderung von Komponistinnen widmen sollten. Judith von Sternburg schreibt in der »Frankfurter Rundschau« dazu: »Musste sie sich zunächst darum bemühen, als Frau auf diesem Feld anerkannt zu werden, so galt sie später wiederum als besonders interessant, eben weil sie eine Frau war. Beides mochte sie nicht. Als komponierender Mensch wollte sie wahrgenommen werden.«

Fünf Opern komponierte Saariaho, die immer wieder klang- und bedeutungserweiternd Live-Elektronik oder elektronische Zuspielung in ihre Werke implementierte: L’Amour de loin (2000), Adriana Mater (2005), Emilie (2008), Only the Sound Remains (2015) und schließlich Innocence (2018). Innocence wurde zuletzt 2021 beim gerühmten Opernfestival in Aix-en-Provence gezeigt. Ein Werk, das die Auswirkungen auf das Leben der Hinterbliebenen nach einem Schulmassaker zum Thema hat.

L’Amour de Loin wurde 2016 an der Metropolitan Opera in New York gegeben. Das Werk, das die Liebe zwischen einem Troubadour und seiner unbekannten Geliebten Clémence besingt und das bereits im August 2000 bei den Salzburger Festspielen seine Uraufführung feierte, wurde auch in Deutschland begeistert aufgenommen, als es 2021 unter Regisseur Johannes Erath an der Oper Köln herauskam. Beim WDR bezeichnete man das Stück als »Meisterwerk der Opernmoderne, geradezu als Klassiker«.

Überhaupt galt Kaija Saariaho seit vielen Jahren als eine der wichtigsten Komponistinnen unserer Zeit. Anfang 2021 wurde bei der Künstlerin ein Gehirntumor diagnostiziert. Saariaho, eine beeindruckende, authentisch rein der Musik verschriebene Persönlichkeit, verließ diesen Planeten mit 70 Jahren, am 2. Juni 2023.

– Arno Lücker

Portrait Kaija Saariaho

© ️Priska Ketterer