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READER: DARMSTADT SONICALS

25.07.2025

PRÄSENTATION DER EDITION DARMSTADT SONICALS

Yaron Deutsch (Moderation)

Mit Thomas Schäfer, Christoph Haffter, Sylvia Freydank, Uli Fussenegger, Sarah Nemtsov & Artur Miranda Azzi


Simon Løffler: b for 3 musicians (2012)

Mirela Ivičević: Dreamwork (2018) Live-Soundtrack zum Film von Peter Tscherkassky / Live soundtrack to the film by Peter Tscherkassky

Catherine Lamb: line/shadow (2011)


zone expérimentale basel (Ensemble des Masterstudiengangs für Zeitgenössische Musik an der Hochschule für Musik in Basel/sonic space)

Wenn die Faszination für Archive – als Wissensspeicher, als Impulsgeber für Rück- und Ausblicke, als Brücke zwischen Historie und Gegenwart – geteilt wird, ist dies ohne Frage ein Glücksfall. Die jüngste Zusammenarbeit zwischen der Hochschule für Musik Basel und dem Internationalen Musikinstitut Darmstadt (IMD) ist das Ergebnis eines solchen Glücksfalls, und das Resultat ist das Projekt Darmstadt Sonicals. Entwickelt von dem Gitarristen Yaron Deutsch, Professor in Basel und Dozent bei den Darmstädter Ferienkursen, ist Darmstadt Sonicals in erster Linie ein kuratorisches Projekt, bei dem das Archiv des IMD sowohl Quelle als auch Protagonist ist. Mit Aufnahmen, Briefen, Fotos und Dokumenten von dessen Gründung im Jahr 1946 bis in die Gegenwart will Deutsch eine kohärente Anthologie der klanglichen Transformationen innerhalb der zeitgenössischen Musik bieten. Die erste Ausgabe – the electric guitar diaries – ist auf sechs Jahre angelegt und bietet eine Zusammenstellung von 27 Kompositionen, die sowohl auf digitalen Plattformen als auch physisch in Form eines Box-Sets (3 Vinyls und ein Booklet) erhältlich sind, das mit Essays, Fotos und anderen tiefgehenden Raritäten gefüllt ist.

Projekt und Vinyl-Box werden in Darmstadt in einem Konzert-Gespräch mit dem ensemble zone expérimentale basel und Werken von Simon Løffler, Mirela Ivičević und Catherine Lamb präsentiert.

Die Publikation "Darmstadt Sonicals" ist in erster Linie ein kuratorisches Projekt, bei dem das Archiv des renommierten Internationalen Musikinstituts Darmstadt (IMD) sowohl Ressource als auch Protagonist ist. In einer Welt, die ständig nach dem nächsten neuen Ding lechzt, ist es leicht, das reiche Potenzial von Archivinstitutionen als Generatoren von Inhalten zu übersehen. Die Erkundung des IMD-Archivs diente also nicht nur dazu, die Vergangenheit und die Gegenwart der zeitgenössischen Musik zu erforschen, sondern auch dazu, alternative Wege in ihre Zukunft zu finden. Sei es das Überdenken gängiger Praktiken oder die Wiederbelebung übersehener musikalischer Relikte, die Verjüngung – so fremd die Idee des Archivs auch klingen mag – diente als prägender Baustein für diese Publikation. Mit uneingeschränktem Zugang zum IMD-Archiv – einem der wichtigsten Institute für zeitgenössische Musik und einer historischen Plattform, die einige der produktivsten Momente im Bereich der zeitgenössischen Musik in Echtzeit befeuerte, beherbergte und dokumentierte – bietet der kuratierte Inhalt eine prägnante Beobachtung langfristiger Prozesse, die den Klang der zeitgenössischen Musik geformt haben. Von den Anfängen der Darmstädter Ferienkurse im Jahr 1946 bis in die Gegenwart bietet dieser lebendige musikalische Treffpunkt ein authentisches Prisma, durch das wir eine Fülle von Transformationen in der Musik und darüber hinaus betrachten können. Die E-Gitarre und ihre Entwicklung in der zeitgenössischen Musik schien daher der perfekte Lackmustest zu sein und passte wie die Faust aufs Auge als Eröffnungsthema einer Reihe von hoffentlich vielen weiteren Ausgaben der "Darmstadt Sonicals".

Yaron Deutsch

B

b für 3 Musiker:innen (2012) versucht, ein einziger Instrumentalkörper zu sein, in dem sich die Musiker:innen durch einfache Körperbewegungen physisch verbinden. Mit ihren Händen berühren sie sich gegenseitig, um statische Elektrizität hörbar zu machen, mit ihren Füßen aktivieren sie verschiedene Muster gepitchter Rückkopplungen durch nicht angeschlossene Gitarrenpedale.

Simon Løffler, Partitur S. v
Simon Løffler, Partitur S. 1
Still aus "Dream Work" (2001) von Peter Tscherkassky

DREAM WORK

Live-Soundtrack zum Film von Peter Tscherkassky

Notiz an die Geister: Legt euch nicht mit der Cluster-B-Dame an.

Inspiriert von Peter Tscherkasskys Ansatz – der Material aus Sidney J. Furies The Entity (1981) verwendete, um etwas völlig anderes zu schaffen – kehrte ich zum Originalfilm zurück, in dem eine Frau von einer unsichtbaren, geisterhaften Kraft sexuell angegriffen wird. Ich extrahierte scharfkantige Fragmente aus der schlechten Aufnahme des Originalsoundtracks, bearbeitete sie stark und stellte sie meiner eigenen Stimme sowie verschiedenen elektronischen und instrumentalen Klängen gegenüber, um einen Soundtrack zu schaffen, in dem die Rollen vertauscht sind.

Mirela Ivičević

Dream Work (2001, 35mm CinemaScope, s/w, 11 min) Eine Frau geht zu Bett, schläft ein und beginnt zu träumen. Dieser Traum führt sie in eine Landschaft aus Licht und Schatten, wie sie in dieser Form nur die klassische Kinematographie hervorzubringen imstande ist. „Dream Work“ ist – nach „L'Arrivée“ und „Outer Space“ – der dritte Teil meiner CinemaScope Trilogie. Verbindendes formales Element dieser Trilogie bildet eine Technik der Kontaktkopierung, bei welcher gefundenes Filmmaterial in der Dunkelkammer – händisch und Kader um Kader – auf Rohfilm umkopiert wird. Dieser Art verwirkliche ich in einer wörtlichen Weise die zentralen Mechanismen des Traumes zur Bedeutungserzeugung, der Traumarbeit, wie Sigmund Freud sie beschrieben hat: die Verschiebung und die Verdichtung. Die inhaltliche Neuinterpretation des filmischen Ausgangsmaterials geschieht, indem dieses aus seinem ursprünglichen Kontext heraus „verschoben“ und zugleich – mittels vielfacher Mehrfachbelichtungen – „verdichtet“ wird. Zudem versteht sich „Dream Work“ als eine Hommage an Man Ray, der 1923 in „Le retour á la raison“ als erster Künstler mit seinen berühmten Rayogrammen die Kontaktkopierung als Technik der Filmerzeugung verwendet hat. Seine bekanntesten Rayogramme – jene von Reißnägeln, Nadeln und Salz – versucht „Dream Work“ als erotische Metaphern innerhalb des Traumes der Frau zu interpretieren.

Peter Tscherkassky
Still aus "Dream Work" (2001) von Peter Tscherkassky

LINE/SHADOW

line/shadow ist eine Grafik-/Textpartitur aus dem Jahr 2011 und wurde als Höranleitung für ein Ensemble geschaffen. Es ist verwandt mit as two…or three..or four… (2008), eine Textpartitur für Solisten/Solistin, die die Grenzen der eigenen Fähigkeit zur Dichte auslotet. Gekrümmte Bereiche zwischen Unisoni, Wahrnehmungen rund um die kritische Bandbreite und verengte Fenster des Tonhöhenraums werden durch gezeichnete Linien und anhaltende Punkte entlang/innerhalb dieser sich entfaltenden Zonen geführt.

Catherine Lamb

Yaron Deutsch über das Project "Darmstadt Sonicals"
Yaron Deutsch über die Vinyl-Edition
Yaron Deutsch über die Recherche im IMD Archiv
Yaron Deutsch über die Zukunft von "Darmstadt Sonicals"
Yaron Deutsch über die Geschichte der E-Gitarre in der Neuen Musik
Yaron Deutsch über die E-Gitarre als Live-Elektronik
Yaron Deutsch über das Programm der Präsentation bei den Darmstädter Ferienkursen

Interview vom 22.07.2025 mit Friedemann Dupelius, Karl Ludwig und Verena Hahn.

© ️Simon Løffler
© ️Simon Løffler
© ️Peter Tscherkassky
© ️Peter Tscherkassky
© ️Catherine Lamb