READER: ADOLESCÊNCIA
11.08.2023
Ricardo Eizirik: „adolescência“ für fünf Performer:innen (2022/23) Uraufführung – ca. 60′
Carola Schaal (Klarinette)
Roberto Maqueda (Elektronik)
Jennifer Torrence (Modified Drumset und verstärktes Schlagzeug)
Francesco Palmieri (E-Gitarre)
Håkon Stene (Modified Drumset und verstärktes Schlagzeug)
Ricardo Eizirik (Elektronik)
Pink FloydRemember when you were young, you shone like the sun.
DEMOKRATISCHE MUSIK IM HIER UND JETZT.
DER KOMPONIST RICARDO EIZIRIK (AUSZUG)
von Gerardo Scheige
Ironischerweise – oder auch nicht – wird „adolescência“ für fünf Performer:innen (2022/23) bei den Darmstädter Ferienkursen uraufgeführt, jener Echokammer, die in den 1950er Jahren die Richtung zeitgenössischen Komponierens unnachgiebig vorgab. Über abweichende künstlerische Ansätze und Resultate wurde damals ebenso kompromisslos wie vernichtend geurteilt, obwohl das Triumvirat Boulez-Nono-Stockhausen in ihren seriell organisierten Stücken eine Demokratisierung aller musikalischer Parameter anstrebten. Und parallel zu einer bezweckten Auslöschung des komponierenden Subjekts nahm das Regelwerk beständig zu. Siebzig Jahre sind seitdem vergangen, dennoch schwebt dieses Erbe teilweise weiterhin wie ein Damoklesschwert über Geschichte und Diskurs der Ferienkurse. Genau hier setzt Eizirik, der Darmstadt erstmalig 2012 als Student besuchte, im Rahmen von „adolescência“ an: Im Fokus steht der Mensch, in diesem Fall Carola Schaal, Roberto Maqueda, Jennifer Torrence, Francesco Palmieri, Håkon Stene und Ricardo Eizirik selbst. Ausschlaggebend für das Stück sind die physische Präsenz und die Beziehung zwischen den fünf Musiker:innen. Alle Sinne und jede Aktion zählen: gegenseitige Blicke, aufmerksames Hin- und Zuhören, die Interaktion mit dem Publikum, das idealerweise miteinbezogen werden soll. In der Pubertät rückt der Körper, rückt seine Veränderung bis hin zur Geschlechtsreife ins Rampenlicht. Zeitgleich ist sie eine Phase ausgiebigen Fragens, auf der Suche nach dem eigenen Platz in der Gesellschaft. Körperlichkeit wird in „adolescência“ zum treibenden Motor, unter anderem auch die physische Erfahrung von Intensität wie Lautstärke, Licht oder Beschleunigung – ein Aspekt, der Eizirik seit einigen Jahren verstärkt beschäftigt. ‚Prima l’esperienza, poi la riflessione‘: Erfahrung kommt vor der Reflexion, so ließe sich seine Herangehensweise radikal herunterbrechen. Und wenn die Centralstation im Dunkeln versinkt, zählen nur das Hier und Jetzt. Rewind and Play.
Ricardo EizirikEs ging in alle Richtungen. Auf der einen Seite wollte ich alles von Ligeti hören, genauso aber die japanische Noise-Band Hanatarash oder jedes Album des brasilianischen Musikers Tom Zé. Das Ganze war keineswegs in einem europäischen Musikgeschichtssinn organisiert, es gab keine geordnete Chronologie. Ich hörte alles, was ich in die Finger bekam, egal, was es war. Wenn eine Freundin oder ein Freund eine Platte, ein Buch, einen Film mitbrachte, hörte ich sie, las ich es, sah ich ihn.