READER: BORROWED LIGHT
10.08.2023
Sarah Hennies: Borrowed Light (2023, UA)
Mivos Quartet
„Geliehenes Licht“ – so die wörtliche Übersetzung von Sarah Hennies’ Streichquartett, das für das Mivos Quartet entstanden ist, ist ebenso imaginativ sprechend wie Motor Tapes, dem neuen Werk der amerikanischen Komponistin, im Programm von Ensemble Dedalus am 8. August 2023. Verweist Motor Tapes auf neuronale Bahnen und endlose Loops, so leitet sich Borrowed Light von einer von den amerikanischen Shakern entwickelten Technik ab, bei der Fenster in Innenwänden von Gebäuden angebracht werden, um Licht aus angrenzenden Räumen mit Außenfenstern hereinzulassen. Die Shaker, eine heute fast komplett in Vergessenheit geratene Glaubensgemeinschaft, die häufig mit den Amish People verwechselt wird, sind vor allem auch durch ihr handwerkliches Geschick bekannt geworden – „Shaker-made“ galt als Qualitätssiegel per se. Das Mivos Quartet, das Borrowed Light in Darmstadt zur Uraufführung bringen wird, nahm bei den Ferienkursen 2012 an einem Förderprogramm für junge Ensembles teil und hat seitdem eine bemerkenswerte internationale Karriere hingelegt. Gemeinsam mit dem jungen polnischen Ensemble Spółdzielnia Muzyczna ist das Mivos Quartet Ensemble-in-Residence bei den Ferienkursen 2023.
Mit freundlicher Unterstützung der Ernst von Siemens Musikstiftung und der Pro Musica Viva – Maria Strecker-Daelen-Stiftung (PMV)
Victor Lowrie TafoyaWir werden ein neues Werk von Sarah Hennies mit dem Titel Borrowed Light uraufführen, ein abendfüllendes Streichquartett. Das ist wirklich aufregend, denn wir haben schon lange darauf gewartet, mit ihr zu arbeiten. Wir kennen sie nicht persönlich, aber ihre Musik tendiert zu längeren Programmen. Es kann schwierig sein, für diese Art von Werken Unterstützung zu finden. Es ist zum Beispiel schwer, dafür einen Förderantrag zu schreiben. Bei jeder Art von Antrag wird ein ein-, zwei- oder dreiminütiges Highlight eines Stücks verlangt. Aber wenn es sich um ein Stück handelt, das sich über 50 Minuten entwickelt – wie soll man das machen? Es hat also eine Weile gedauert, bis wir die richtige Zeit und finanzielle Unterstützung gefunden hatten, um dieses Werk auf die Beine zu stellen.
Olivia de Prato (1. Geige):
Wir haben 2008 an der Manhattan School of Music begonnen. Victor Lowrie Tafoya und ich sind die Gründungsmitglieder. Wir waren also von Anfang an dabei. Bei den beiden anderen Mitgliedern gab es ein paar persönliche Veränderungen, aber wir haben alle zusammen an der Manhattan School of Music studiert. 2007 hatte gerade ein Programm für zeitgenössische Aufführungspraxis begonnen und wir waren im Grunde die einzigen Streicher, denn es war das erste Jahr und es gab insgesamt nur 13 Studierende in diesem Programm. Nach unserem Master-Abschluss beschlossen wir, weiterhin als Quartett zusammenzuspielen. Eine verrückte Idee. Aber wir lieben es, zusammen zu spielen, wir lieben es, zeitgenössische Musik zu spielen und viel zusammenzuarbeiten. Eine unserer Hauptaufgaben ist nicht nur die Aufführung neuer Werke und die Vergabe von Kompositionsaufträgen, sondern auch die Zusammenarbeit mit Künstler:innen mit unterschiedlichem Hintergrund und verschiedener Ästhetik. Wir arbeiten also mit vielen Menschen zusammen, mit vielen Komponist:innen und Künstler:innen, mit Musiker:innen, die eher aus der improvisierten Musik kommen, vielleicht eher aus der Jazzwelt, obwohl wir in der neuen Musik ja ohnehin alle irgendwie zusammen sind. Wir improvisieren auch gerne – es gibt nicht viele Streichquartette, die auch gerne improvisieren. Ich weiß nicht, ob Victor dem etwas hinzufügen möchte…?
Victor Lowrie Tafoya (Viola):
Das ist schon die entscheidende Geschichte. Wir sind eine kleine Gruppe, weil wir normalerweise ja nur zu viert sind. Manchmal sind es auch mehr, wenn es eine größere Zusammenarbeit gibt. Wir haben unseren Sitz in den USA und sind eine gemeinnützige Gesellschaft, was die Einwerbung von Drittmitteln vereinfacht. Das ist die klassische Art und Weise, wie in den USA ansässige Musikensembles funktionieren. So arbeiten wir also auch. Wir haben einen Vorstand, der uns hilft und uns in Steuerfragen und ähnlichen Dingen berät. Aber wir machen auch einen Großteil der Verwaltungsarbeit selbst, und wir teilen sie unter uns auf, weil alles erledigt werden muss. Und das funktioniert im Allgemeinen ganz gut. Eines ist mir nur besonders wichtig: Dass wir im Laufe der Zeit die ganz bewusste Entscheidung getroffen haben, so viel wie möglich direkt mit den Komponist:innen zusammenzuarbeiten. Jedes neue Stück, jedes neue Projekt ist also eine Zusammenarbeit zwischen uns und der Person, die für die Musik verantwortlich ist. Damit fokussieren wir uns auf die neuen Dinge, die anstehen.
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Es gibt eine Art Institution oder Tradition, besonders in der Kunst. Ich meine, das hat etwas Wertvolles an sich, und es hat in der Regel einen Grund, warum das so it. Ich meine, die Darmstädter Ferienkurse haben eine erstaunliche Geschichte von Stücken, Komponist:innen und diskursiven Beiträgen. Und das ist alles interessant, berührend und regt zum Nachdenken an. Aber alles ist auch immer in ständiger Veränderung, auch wenn Darmstadt ein Fels ist, wie du sagst. Ich denke, man muss mit der Zeit gehen, und diese verändert sich, da die Musikwelt im Allgemeinen immer expansiver und zugleich inklusiver wird. Das ist eine gute und natürliche Entwicklung. Und es ist sehr gesund, wie ich nde. Es entspricht eher dem, was tatsächlich in der Welt passiert und was in der Musik wichtig ist. Vergangenheit und Gegenwart müssen daher nicht im Gegensatz zueinanderstehen.
Olivia de Prato:
Bei den Ferienkursen kommen die Teilnehmer:innen aus der ganzen Welt, um Stücke zu präsentieren, vielleicht aus ihrem Heimatland oder von Freunden oder Kolleg:innen, mit denen sie zusammengearbeitet haben. Es ist, als würde man sagen: „Das gefällt uns. Das ist es, was jetzt gerade passiert. Hört euch das mal an, hört euch das mal an!“ Und es gibt jetzt so viel Abwechslung, das ist wunderbar. Es ist eine schöne Art, Musik zu präsentieren und mit ihr zu interagieren.
Das ganze Interview zwischen Mivos Quartet und Spódzielnia Muzyczna (PDF, 5,1 MB)