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READER: LIAISONS

28.07.2025

Die belgische Harfenistin Jenna Vergeynst spielt Musik von Ward De Jonghe, Georges Aperghis, Bethan Morgan-Williams, Thanakarn Schofield und Ellen Jacobs, mit Tanz von Myrthe Bokelmann

Ward De Jonghe: C (2024)

Georges Aperghis: Fidélité (1983)

Bethan Morgan-Williams: Trying to Use Words (2025)

Thanakarn Schofield: On 2B Thy Heid-Ake (2025)

Ellen Jacobs: MADA (2024)

in einer durchgehenden Performance von 50′


Jenna Vergeynst (Harfe, Stimme)
Myrthe Bokelmann (Bewegung, Performance, Stimme)


Mit freundlicher Unterstützung durch die flämische Regierung, die Stadt Gent und Sabam for Culture

Jenna Vergeynst & Myrthe Bokelmann im kurzen Gespräch über "Liaisons"

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LIAISONS

„Alors tu es vraiment heureux de me voir?“ („Bist du wirklich froh, mich zu sehen?“) ist eine der erstaunlichen Fragen in Georges Aperghis‘ Fidélité für Harfe und Stimme aus den frühen 1980er Jahren. In dem Stück trägt die Harfenistin eine quasi-psychotische, unverständliche Erzählung vor, in der sich Worte und Silben mit den Harfentönen vermischen – ein Klangnebel, in dem nur gelegentlich ein klarer Satz zu erkennen ist. Ist es das Geständnis eines leidenschaftlichen Mordes? Oder der Bericht über eine obsessive Liebe? Ist die andere Person auf der Bühne das Subjekt ihres Wahnsinns oder nur diejenige, auf die alles projiziert wird? Wer ist wessen Gefangene, oder sind sie beide im Strudel der Fantasien der jeweils anderen gefangen?

Die belgische Harfenistin Jenna Vergeynst hat vier Komponist:innen eingeladen, mit einer neuen Komposition eine musikalische Antwort auf Fidélité zu formulieren. Gemeinsam mit der Tänzerin/Performerin Myrthe Bokelmann hat sie die Werke zu einer intimen, eindringlichen Performance zusammengefügt.

C

Dieses Stück für Harfe, C, ist wie einige andere meiner Stücke nach einem chemischen Element benannt (tagsüber arbeite ich als Chemielehrer). Das Element Kohlenstoff – ausgewählt von Jenna Vergeynst, der Harfenistin, für die es komponiert wurde – hat ganz einzigartige Bindungsfähigkeiten, ohne die keine der bekannten Lebensformen existieren könnte. In dieser Hinsicht passt das Stück auf einer grundlegenden Ebene sehr gut zum Projekt Liaisons.

In der Choreografie von Myrthe Bokelmann beobachten wir, wie ein Wesen entsteht, von der Entdeckung seiner Bewegungsfähigkeit über den Kampf um seine bloße Existenz bis hin zu einem gewissen Selbstbewusstsein. Das ist zumindest meine Interpretation.

Die Musik hat nicht die Absicht, diesen Prozess darzustellen. Sie beschäftigt sich mit den Folgen davon,  lebendig und sich seiner selbst bewusst zu sein. Die Partitur geleitet die Harfenistin in Richtung Wahlfreiheit (sie zwingt sie gewissermaßen zur Freiheit). Anfangs ist sie noch klassisch notiert, am Ende sind es nur noch bloße Improvisationsrichtlinien.

Je lebendiger die Tänzerin wird, desto verantwortungsbewusster wird die Musikerin. Die beiden sind untrennbar miteinander verbunden.

Ward de Jonghe

FIDÉLITÉ

Wie in vielen Werken von Georges Aperghis sind die gesprochene oder gesungene Stimme und die Geste (ob zur Erzeugung von Klängen oder zur Darstellung einer Situation) eng miteinander verbunden und integraler Bestandteil der Komposition. In diesem für Brigitte Sylvestre geschriebenen Stück wird die Geste der Harfenistin, eingefangen in dem besonderen Moment, wenn ein Klang vorbereitet wird, mit Sprache und Gesang verbunden. Um einen „Moment“ im Leben der Interpretin einzufangen – diesen privilegierten Zwischenmoment, in dem alles gesagt werden könnte, sind folgende Dinge eng miteinander verbunden:  die Beziehung der Frau zu ihrem Instrument (die Freude am Spiel), zur Musik (die Sorge der Interpretin angesichts der Klangsprache) und ihre eigene Identität im Spiegel ihres Lebens als Frau (Ehefrau). Dieses Dreieck bildet eine Welt, die auseinanderbricht.

Georges Aperghis

Die originale Fassung von Georges Aperghis ist für Harfenistin und einen männlichen Schauspieler (hier: Miriam Overlach & Floriaan Ganzevoort)

TRYING TO USE WORDS

Trying to Use Words erkundt das Terrain der gegenseitigen Abhängigkeit – zwischen Stimme und Instrument, zwischen Bewegung und Klang, zwischen Ausdruck und Scheitern. In Anlehnung an T. S. Eliots East Coker beschäftigt sich das Stück mit den Schwierigkeiten der Kommunikation, bei der jeder Versuch, Bedeutung zu artikulieren, auf dem zuvor Gesagten und dem gerade noch Unerreichbaren beruht. Eliots Worte erinnern uns daran, dass die Suche nach Bedeutung kein einsamer Akt ist – sie ist Teil eines Kontinuums aus Vergangenheit und Gegenwart, aus Anstrengung und Hingabe. Die Darsteller:innen existieren nicht nur nebeneinander, sie prägen sich gegenseitig und werden voneinander geprägt, wodurch deutlich wird, dass Ausdruck niemals singulär, sondern immer mit der Präsenz eines anderen verflochten ist.

Bethan Morgan-Williams

ON 2B THY HEID-AKE

Das Stück ist für zwei Frauenstimmen komponiert und konzentriert sich auf die Wechselbeziehung zwischen einer Hauptstimme und ihrem Alter Ego – nicht als Spiegelbild, sondern als Belastung. Die Hauptstimme kämpft darum, ihr Alter Ego abzulehnen, und behandelt es als Symptom einer Krankheit – als etwas Fremdes und Unerwünschtes. Im Verlauf des Stücks intensiviert sich ihre Beziehung, wobei sich der anfängliche Widerstand allmählich zu einer totalen Konfrontation steigert, bis die Hauptstimme schließlich nachgibt und in die Identität ihres Alter Egos aufgeht.

Thanakarn Schofield

MADA

„Ne parle pas de ton coeur!
Ne parle pas de ton coeur c’est pure vanité!“
Ruft die Performerin gegen Ende von Arperghis‘ Fidélité.

MADA, Sanskrit für Stolz oder Eitelkeit, ist laut den Hindus einer der sechs Feinde des Geistes und des Herzens. Wenn diese Feinde zu präsent sind, ist es unmöglich, seinen Kopf und sein Herz zu öffnen und somit seine Meinung zu äußern. In Fidélité ist das Herz der Person, zu der die Interpretin spricht, voller Eitelkeit, und es gibt keine Möglichkeit, zu dieser Person durchzudringen. Infolgedessen erfährt die Interpretin viele Blockaden und unterdrückte Gefühle.

In MADA verwickelt sich die Harfe in Wolle und kann nicht mehr frei klingen. Im Verlauf des Stücks versucht die Harfenistin, sich zu befreien, um sich öffnen und aus dem Herzen sprechen zu können – und hat damit Erfolg.

Ellen Jacobs

© ️IMD / Kristof Lemp
© ️IMD / Kristof Lemp
© ️Jonas de Coster