READER: MOTOR TAPES
08.08.2023
Sarah Hennies: „Motor Tapes“ (2022/23) – Uraufführung 60′
für 12 Musiker:innen
Auftrag Ensemble Dedalus
PAUSE
Brian Eno: „Music for Airports“ (1978) 45′
Fassung für Ensemble von Didier Aschour
Ensemble Dedalus
Ensemble Dedalus:
Amélie Berson (Flöte)
Fabrice Villard (Klarinette)
Pierre-Stéphane Meugé (Saxofon)
Christian Pruvost (Trompete)
Thierry Madiot (Posaune)
Stéphane Garin (Vibrafon & Schlagzeug)
Denis Chouillet (Klavier)
Didier Aschour (Gitarre & Künstlerische Leitung)
Silvia Tarozzi (Violine)
Cyprien Busolini (Viola)
Judith Hamann (Violoncello)
Eric Chalan (Kontrabass)
Benjamin Maumus (Klangregie)
MOTOR TAPES
„Motor Tapes“ besteht aus sich dicht überlagernden Wiederholungen und rhythmischen Mustern, die an die Studie des Neurowissenschaftlers Rodolfo Llinás über das menschliche Gehirn erinnern. In seinem Buch „I of the Vortex“ prägte er den Begriff „motor tapes“, um die neuronalen Verkörperungen zu beschreiben, die alle geistigen Aktivitäten ermöglichen. Darin stellt er die These auf, dass das Gehirn unzählige „Bänder“ enthält, die kontinuierlich im Geist ablaufen. Llinás‘ Charakterisierung dieses Phänomens ist verblüffend musikalisch: „Die Aktivität in den Basalganglien läuft die ganze Zeit, sie spielen motorische Muster und Schnipsel motorischer Muster untereinander ab […]; sie scheinen wie ein kontinuierlicher, zufälliger Rauschgenerator für motorische Muster zu wirken.“ In meiner gleichnamigen Arbeit stellen die Musiker:innen Synapsen dar, die unabhängig voneinander feuern, sich manchmal koordinieren und zu komplexen, miteinander verwobenen Aktivitäten zusammenschließen.
Das Werk ist auch von unfreiwilligen musikalischen Bildern inspiriert, die allgemein als Ohrwürmer bekannt sind. Llinás beschreibt die körperliche und geistige Aktivität des Menschen als verschiedene „Bänder“, die sowohl freiwillige als auch unfreiwillige Ereignisse koordinieren, von denen der Ohrwurm eines der häufigsten ist. In Oliver Sacks‘ „Musicophilia“ untersuchte er Personen, die musikalische Halluzinationen erleben, d. h. auditive Illusionen, die sich davon unterscheiden, dass jemand Musik in ihrem:seinem Kopf hört, sondern dass jemand, die:der auditive Halluzinationen erlebt, die Musik so hört, als wäre sie physisch in ihrem:seinem Raum. Sacks stellte fest, dass es sich bei der von den Patient:innen gehörten Musik ausnahmslos um Lieder aus deren Kindheit handelte, und so ist mein Stück „Motor Tapes“ von transformierten und verzerrten Melodien aus meiner Kindheit durchsetzt.
Ich interessiere mich für die Theorie der motorischen Bänder, weil sie nahelegt, dass es neben der gelebten Erfahrung eine geheimnisvolle biologische Grundlage für unsere Neigungen, Talente und Identitäten gibt.
Sarah Hennies
AMBIENT MUSIC
Das Konzept der Musik, die speziell als Hintergrundmusik für die Umgebung konzipiert ist, wurde in den 1950er Jahren von Muzak Inc. entwickelt und ist seitdem allgemein unter dem Begriff „Muzak“ bekannt. Die Konnotationen, die dieser Begriff mit sich bringt, sind diejenigen, die besonders mit der Art von Material verbunden sind, das Muzak Inc. produziert – bekannte Melodien, die in einer leichtgewichtigen und abgeleiteten Weise arrangiert und instrumentiert werden. Verständlicherweise hat dies dazu geführt, dass die meisten anspruchsvollen Hörer:innen (und die meisten Komponist:innen) das Konzept der Environmental Music als Idee völlig ablehnen.
In den letzten drei Jahren habe ich mich für die Verwendung von Musik als Ambiente interessiert und bin zu der Überzeugung gelangt, dass es möglich ist, Material zu produzieren, das auf diese Weise verwendet werden kann, ohne in irgendeiner Weise beeinträchtigt zu werden. Um eine Unterscheidung zwischen meinen eigenen Experimenten in diesem Bereich und den Produkten der verschiedenen Anbieter von Musik aus der Konserve zu schaffen, habe ich begonnen, den Begriff Ambient Music zu verwenden.
Unter Ambiente versteht man eine Atmosphäre oder einen umgebenden Einfluss: eine Tönung. Meine Absicht ist es, Originalstücke zu produzieren, die angeblich (aber nicht ausschließlich) für bestimmte Zeiten und Situationen bestimmt sind, um einen kleinen, aber vielseitigen Katalog von Umgebungsmusik zu erstellen, der für eine Vielzahl von Stimmungen und Atmosphären geeignet ist.
Während die bestehenden Musikkonservenfirmen davon ausgehen, Umgebungen zu regulieren, indem sie deren akustische und atmosphärische Eigenheiten überdecken, ist Ambient Music darauf ausgerichtet, diese zu verstärken. Während konventionelle Hintergrundmusik produziert wird, indem der Musik jeglicher Sinn für Zweifel und Ungewissheit (und damit jegliches echtes Interesse) genommen wird, behält Ambient Music diese Eigenschaften bei. Und während ihre Intention darin besteht, die Umgebung durch das Hinzufügen von Reizen „aufzuhellen“ (und damit angeblich die Langeweile von Routineaufgaben zu lindern und das natürliche Auf und Ab des Körperrhythmus auszugleichen), soll Ambient Music Ruhe und einen Raum zum Nachdenken schaffen.
Ambient Music muss in der Lage sein, viele Ebenen der Aufmerksamkeit zu bedienen, ohne eine bestimmte zu erzwingen; sie muss ebenso ignorierbar wie interessant sein.
Brian Eno (1978)