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READER: MUSIC FOR A CONCRETE STRUCTURE

20./21.07.2025

Arne Gieshoffmusic for a concrete structure (2024–25)

Uraufführung

Sarah Saviet (Violine)

Paul Hübner (Trompete)

Trio Catch:
Martin Adámek (Klarinette)
Eva Boesch (Violoncello)
Sun-Young Nam (Klavier)

MUSIC FOR A CONCRETE STRUCTURE

Music for a Concrete Structure wurde für einen der vier Darmstädter Hochbunker der Bauart Winkel entwickelt, der auf dem Gelände des ehemaligen Knell-Areals steht (heute: Abfallwirtschaft / EAD). In einem mehrjährigen Prozess habe ich mich dem Bunkerkomplex angenähert, forschte in der Stadt- und Bunkergeschichte und begab mich auf klangarchäologische Expeditionen in den Bunkerraum selbst. Dem Ort sind verschiedene Zeitschichten eingeschrieben: Neben der Ursprungsnutzung als Schutzraum für Angehörige der damaligen Reichsbahn gab es „wilde“ Nutzungen durch die alternative Szene, Wohnungslose und Taubenschutzvereine. In der Entwicklungsphase der Bunker wurden Schalldruck-Experimente an Ziegen durchgeführt, aufgrund derer die Tiere ertaubten. Neben den Personen, die die Bunkerräume nutzen konnten und nutzen durften, gab es unter der Terrorherrschaft der Nationalsozialisten Personengruppen, denen die Aufsuchung von Luftschutzräumen untersagt blieb. Dies betraf insbesondere Zwangsarbeiter:innen, die auch im Darmstädter Bahnausbesserungswerk durch die Reichsbahn eingesetzt wurden.

Arne Gieshoff

Paul Hübner & Sarah Saviet
Portland Cement Association: „Principles of Quality Concrete“

PRINZIPIEN DES QUALITÄTS-BETON

Wenn Sie tief in guten, verarbeitbaren Beton blicken könnten, würden Sie Millionen über Millionen von Teilchen aus inertem Material sehen. Jedes Teilchen, egal ob groß oder klein, ist vollständig von einer chemisch aktiven Paste aus Portlandzement und Wasser umgeben. Die Gesteinskörnung ist gleichmäßig verteilt, wobei größere Brocken durch kleinere Teilchen getrennt sind, die wiederum mit Sand gefüllt werden. Schließlich füllt eine ausreichende Menge an Wasserzementleim alle verbleibenden Hohlräume aus. Die Gesteinskörnung macht etwa drei Viertel der Betonmasse aus. […] Die Körnung muss von bester Qualität sein. Vergrößert man ein Zementteilchen um ein Vielfaches, sieht man, wie Wasser und Zement zunächst schnell, dann langsamer chemisch reagieren, bis nahezu der gesamte Zement mit dem Wasser verbunden ist. Dieser Prozess wird Hydratation genannt und dauert so lange an, wie Feuchtigkeit vorhanden und die Temperatur günstig bleibt. […] Beton muss wasserdicht sein – eine unverzichtbare Eigenschaft für Tanks, Rohre, Dämme, Schwimmbecken, Mauern und andere Strukturen, die hydrostatischem Druck und Witterungseinflüssen ausgesetzt sind.

Aus dem Video: „Principles of Quality Concrete“ von Portland Cement Association

BUNKERARCHÄOLOGIE

Phänomen eines dramatischen Moments der Zeitgeschichte: 10.000 Denkmäler verschwinden. Ihrer Funktion beraubt und aus ihrem Kontext gerissen, verweisen diese Werke auf eine unbekannte Bedeutung. Wie ein Archäologe habe ich in diesem unterirdischen Universum nach einer der verborgenen Gestalten unserer Zeit gesucht. Der Grundriss des Blockhauses erinnert auf merkwürdige Weise an aztekische Tempel, seine Verkleidung an die Mastaba und die etruskischen Nekropolen. Doch was bei den antiken Monumenten in pyramidalen oder kreisförmigen Formen das heilige Symbol als kosmisches Bild hervorrief, ist hier nur unterschwellig und unbeabsichtigt vorhanden. Die Geometrie ist nicht mehr bestärkend, sondern erodiert, abgenutzt. Der Winkel ist nicht länger rechtwinklig, sondern eingedrückt und entzieht sich der klaren Wahrnehmung; die Masse ist nicht mehr im Boden verankert, sondern auf sich selbst zentriert, fähig zur Bewegung und Artikulation. Diese Architektur schwebt über einer Erde, die ihre Materialität verloren hat. Als ich mich einem dieser Monolithen am Strand näherte, erschien er mir plötzlich fast tierhaft, wie ein leerer Kadaver, verlassen und in den Sand gestürzt, wie die Hülle einer ausgestorbenen Spezies. Beim Betreten überkommt mich eine spürbare Schwere, die Dicke der Wände ist greifbar, wie eine zweite Haut, die bestimmte Sinne verstärkt und Bewegungen schützt. Es gibt keine Fenster, die das Innere beleuchten; die Schießscharte erhellt nur das Äußere, doch mit der Präzision eines Leuchtturms. In diesem Überlebensapparat ist das Leben nicht neutral.

Architecture Principe (Claude Parent & Paul Virilio): Bunker Archaeology (1966/1996),
übersetzt von George Collins, Les Editions de l’Imprimeur (Besançon 1997).

Eva Boesch

Ich bedanke mich beim Internationalen Musikinstitut Darmstadt, dem Amt für Denkmalschutz der Stadt Darmstadt, dem Fachbereich Digitale Bauforschung an der Technischen Universität Darmstadt (Prof. Clemens Brünenberg), EAD Darmstadt und den Performer:innen dafür, dieses Werk zu ermöglichen.

Arne Gieshoff

Winkelbunker @ Technische Universität Darmstadt / Archäologie

© ️IMD / Kristof Lemp
© ️IMD / Kristof Lemp
© ️IMD / Kristof Lemp