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READER: THUNDER MUSIC

07.08.2023

Anthony Braxton: Thunder Music (2023, UA)

Anthony Braxton (Saxofon, Elektronik, Komposition)
James Fei (Saxofon)
Katherine Young (Fagott)
William Forman (Trompete)
Roland Dahinden (Posaune)
Reut Regev (Posaune)
Andreas Borregaard (Akkordeon)
Anne Rhodes (Stimme)
Lisa Willems (Stimme – HYOID voices)
Fabienne Seveillac (Stimme – HYOID voices)
Juliet Fraser (Stimme)
Andreas Halling (Stimme – HYOID voices)
Nick Hallett (Stimme)
Štěpán Janoušek (Stimme)
Carl Testa (Kontrabass & Elektronik)
George Cremaschi (Kontrabass)

Donnergeräusche aufgenommen von und lizenziert von Frank Bry (The Recordist). Andere Donnergeräusche von Jason Romney, lizenziert unter der Creative Commons Attribution 3.0 Unported License. Tiergeräusche aus der Public Domain des National Park Service bzw. aufgenommen von und lizenziert von Daan Hendriks.

Anthony Braxton & Thomas Schäfer

Die Uraufführung von Thunder Music mit einem eigens für dieses Konzert zusammengestellten Ensemble aus 16 international gefeierten Musiker:innen unter der Leitung von Anthony Braxton selbst ist eine kreative Kombination aus Künstler:innen aus den USA und aus Europa, aus Instrumentalist:innen und Vokalist:innen, die bestens mit Braxtons Sprache und Improvisationspraxis vertraut sind, zugleich aber in jeder Sekunde bereit sein müssen, auf neue musikalische Situationen der Mitspieler:innen zu reagieren. Jedes Ensemblemitglied erhält eine eigenständige App, die Donnergeräusche und Super-Collider-Manipulationen enthält, die auf der Bühne in die musikalische Umgebung in Echtzeit integriert werden. Eine faszinierende Reise in eine unbekannte musikalische Welt jenseits bekannter Grenzen.

Mit freundlicher Unterstützung der Ernst von Siemens Musikstiftung

ANTHONY BRAXTON

Mein Leben und meine Musik sind ein Zwischending. Nicht schwarz, nicht weiß, nicht Jazz, nicht klassische Musik. Und doch liebe ich Jazz. Ich liebe klassische Musik. Ich liebe Bach. Ich liebe Charlie Parker. Ich mag Marschmusik, Volksmusik, Country. Ich betrachte mich als einen professionellen Musikstudenten.

Anthony Braxton

Dieses Dazwischen-Sein ist vielleicht der prägendste Charakterzug von Anthony Braxtons Musik. Auch, weil ihm sehr lange die Anerkennung innerhalb der Jazz-Szene oder auch der zeitgenössischen Musik-Szene verwehrt blieb. Seine Arbeiten fordern die gängigen Hör- und Spielgewohnheiten heraus und lassen die Genregrenzen weit hinter sich. Mit Bezeichnungen wie „Neue Musik“ oder „Jazz“ konnte er sich, wie gerade schon angeklungen, nie anfreunden. Braxton bezeichnet seine transidiomatische Musik gerne als „Creative Music“.

Dieser Begriff ist vielleicht nicht die beste Beschreibung meiner Arbeit, aber es ist eben so, dass meine Arbeit von den Jazzern abgelehnt wird. Die sagen, das sei kein Jazz. Und die Leute von der zeitgenössischen klassischen Musik sagen: Oh, das ist keine zeitgenössische Musik. Und sie haben beide Recht. Meine Musik ist, wie mein Leben, zwischen der afroamerikanischen Welt und dem europäischen und amerikanischen Universum. Ich habe nicht versucht, eine Musik zu entwickeln, weil ich auf etwas wütend war und den Jazz oder die zeitgenössische klassische Musik abgelehnt habe. Genau das Gegenteil ist der Fall: Meine Musik ist eine Bejahung der Weltmusik und meiner Beziehung zwischen Jazz und westlicher Kunst – Teil von einem großen Ganzen.

Anthony Braxton

Braxtons Musik basiert oft auf mathematischen Formeln, Symbolen, Diagrammen oder Grafiken, die er selbst entwirft. Er hat mehrere Notations- und Spiel-Systeme erfunden. Sie alle beziehen sich aufeinander und bauen aufeinander auf. Wie mit einem Baukasten lassen sich so immer wieder neue Gebilde schaffen.

Die „Language Music“ ist ein Kompositionssystem, das Braxton ursprünglich für seine Soloimprovisationen verwendet hat – mittlerweile bildet die „Language Music“ allerdings die Basis für die meisten seiner Kompositionen und anderen Systeme: z.B. die „Ghost Trance Music“ (die zeichnet sich vor allem durch lange Töne aus), die „Falling River Music“ (akzentuierte lange Töne), die „Diamond Curtain Wall Music“ (Triller oder Verzierungen), „Echo Echo Mirror House Music“ (Multiphonics) oder „Pine Top Aerial Music“ (das wären kurze Attacken). Diese verschiedenen Systeme und Sprachen fungieren als eine Art Vokabular für Braxtons Musik. Über die letzten 50 Jahre hat Anthony Braxton an seinem „ground floor“ gearbeitet – ein hochkomplexes System, das unter anderem all die gerade genannten Konzepte vereint.

Mein System hat seine eigene DNA, das gibt mir die Möglichkeit, Modelle zu bauen und ein philosophisches System zu schaffen, ein rituelles und zeremonielles Musik-System zu schaffen. Ich habe diesen Ansatz gewählt, weil ich nicht an existenzieller Freiheit interessiert war und auch nicht an existenzieller Präzision. Ich war auf der Suche nach einem Zwischenraum, der für mich nicht nur die Verschmelzung von Europäischem und Afrikanischem bedeutet, sondern ich habe nach dem gesucht, was ich in mir gehört habe, ich war auf der Suche nach mir selbst.

Anthony Braxton

Im Konzert präsentiert Anthony Braxton nun die nächste Weiterentwicklung seines Systems: die Thunder Music.

© ️Marek Bouda
© ️Kristof Lemp
© ️Kristof Lemp
© ️Kristof Lemp