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READER: TWINNINGS

25.07.2025

Kelley Sheehan: feed (2025) – 9′
für Perkussion, generatives Video und Zuspiel

Kari Watson: twinning (2025) – 22′
für zwei Violinen und LED-Lichter

Kari Watson: For Jen Torrence (2024/25) – 24′
für Perkussion, Elektronik und Video


Sarah Saviet (Violine / Violin)
Maya Bennardo (Violine / Violin)
Jennifer Torrence (Percussion)
Kari Watson (Electronic Devices)
Luana Borges (Video)

Still des generativen Videos in "Feed"

INSTRUMENTATION

Kleine Trommel
Hinterrad eines Fahrrads (mit Zahnradkassette)
Bassbogen
Geigenbogen (oder kleiner)
Holzklotz (hoch)
eine Sammlung von Gegenständen mit hohem Ton
Hängebecken
Pfeife

ELEKTRONISCHES EQUIPMENT

Laptop* + max msp & touchdesigner
Schallwandler & Verstärker
Kontaktmikrofon
(2) Webcams**
Controller – Joystick oder Videospiel-Controller (wird eventuell nicht benötigt)
Midi-Pedal + usb-Adapter**

FEED (2025)

Feed für generatives Video, eine:n Schlagzeuger:in und fixed media ist Teil eines möglichen Installations-/Performanceprojekts, das Jenn [Jennifer Torrence] und ich schon seit mehreren Jahren ausgemalt haben. Dies ist das abstrahierte Performance-Solo dieses größeren Stücks. Und diese Performance in Darmstadt wird die erste offizielle Vorführung des Work-in-Progress sein. Der Videoteil ist generativ, d.h. durch den Einsatz von Stream Diffusion, audio-reaktivem Bildmaterial und Live-Kameras wird das Video nicht bei jeder Aufführung gleich sein und ein Großteil des Videomaterials wird vor Ort generiert.

Im Laufe des Stücks wechselt Jenn von notierten Linien in einen konzeptionellen Rahmen, um neue Welten zu erschaffen, sowohl visuell als auch klanglich. Feed ist eine Anspielung auf die Idee der Live-Kameraübertragung, die ein Merkmal dieses Stücks ist, und auf die Idee, Material in eine Blackbox/Maschine einzuspeisen, um etwas … Unerwartetes zu erhalten, in Ermangelung eines besseren Wortes. Alle gehörten und gesehenen Materialien (Tonbandaufnahmen, voraufgezeichnete Videos) wurden in die Stream Diffusion eingespeist und neu erzeugt. Jeder Live-Feed wird im Moment von der Maschine konsumiert und von der Interpretin oder vom Interpreten gestaltet.

Feed-
gestutzt
live feed

Verb
Nahrung zu sich nehmen; etwas essen.
Öl gießen (ins Feuer)

Substantiv
ein Akt der Nahrungszufuhr.

informell
eine Vorrichtung oder ein Rohr für die Zufuhr von Material in eine Maschine.
die Zufuhr von Rohmaterial in eine Maschine oder ein Gerät.

Kelley Sheehan

Spielanweisungen für das Hinterrad eines Fahrrads
Ausschnitt aus "Feed" ((work in progress))

TWINNING

für Violin-Duo und DMX-Lichter

twinning erforscht Formation, Trennung und Differenzierung durch klangliche und visuelle Mittel. Das Stück beginnt mit zwei Geiger:innen, die Rücken an Rücken in der Mitte eines Lichtkreises stehen und sich wie ein einziger Organismus bewegen und klingen. Im weiteren Verlauf des Stücks entstehen subtile Verschiebungen inmitten ihres gemeinsamen Klangteppichs, die diese Einheit in Frage stellen. Die beiden Interpret:innen gehen allmählich auseinander und navigieren durch Bindung, Einstimmung und (Un-)Verbundenheit – musikalisch und visuell durch ein ansprechendes Lichtdesign.

Die Dynamik zwischen Licht und Klang entwickelt sich im Laufe des Stücks ständig weiter, wobei das Licht zunächst als Quelle der Empathie wirkt und sich später in eine Quelle der Dissonanz und Desorientierung verwandelt. Im Kern ist twinning eine autobiografische Meditation über Verlust – über einen Lebenszyklus, eine Zwillingsbeziehung, die unterbrochen wird, und im Gegenzug über die komplexe Erfahrung der Individuation, wenn die Trennung vorzeitig und unnatürlich erfolgt. Dieses Stück ist meiner Zwillingsschwester Jesi (1998–2014) gewidmet, deren Liebe mich weiterhin in der Musik und im Leben antreibt.

Kari Watson

Sarah Saviet

Artikel über Sarah Saviet von Ty Bouque im VAN Magazine (2024)

Maya Bennardo

Eine Anmerkung zur Kollaboration

Bei der Erarbeitung dieses Stücks ging es mir besonders darum, eine musikalische Sprache zu entwickeln, die auf Einfühlung und Verkörperung beruht – bei der die beiden Geigerinnen durch tiefes Zuhören und gegenseitiges Reagieren innerhalb eines sich langsam entwickelnden zeitlichen Kontextes einen zusammengesetzten Klang erzeugen. Ich bin dankbar, dass ich die Gelegenheit hatte, mit Maya und Sarah zusammenzuarbeiten, deren gemeinsame Hingabe an diese Aufführungspraxis das Stück durch ihre Sensibilität, ihre Verkörperung und ihr einfühlsames Musizieren zum Leben erweckte. Die Beleuchtung wurde von Max Ardito programmiert, und ich bin sehr froh, dass ich während dieses Prozesses auch mit ihm eine kollaborative Arbeitsbeziehung aufbauen konnte.

Kari Watson

Dieses Stück wurde von den Darmstädter Ferienkursen in Auftrag gegeben und für Maya Bennardo und Sarah Saviet für die Uraufführung am 25. Juli 2025 in der Lichtenbergschule in Darmstadt geschrieben.

Website Max Ardito

Debut Album von Maya Bennardo (Bandcamp)

Jennifer Torrence

Ich möchte meine Thesen zusammenfassen. Bestimmte Dualismen haben sich in der westlichen Tradition hartnäckig durchgehalten, sie waren systematischer Bestandteil der Logiken und Praktiken der Herrschaft über Frauen, farbige Menschen, Natur, Arbeiterinnen, Tiere – kurz, der Herrschaft über all jene, die als Andere konstituiert werden und deren Funktion es ist, Spiegel des Selbst zu sein. Die wichtigsten dieser problematischen Dualismen sind Selbst/Andere, Geist/Körper, Kultur/Natur, männlich/weiblich, zivilisiert/primitiv, Realität/Erscheinung, Ganzes/Teil, Handlungsträgerln/Ressource, Schöpferin/Geschöpf, aktiv/passiv, richtig/falsch, Wahrheit/Illusion, total/partiell, Gott/Mensch. Das Selbst ist der Eine, der nicht beherrscht wird, und dies durch die Knechtschaft der Anderen weiß. Die/der Andere ist die/derjenige, der/dem die Zukunft gehört und dies durch die Erfahrung der Herrschaft erkennt, die die Autonomie des Selbst als Lüge entlarvt. Der Eine zu sein, heißt autonom, mächtig, Gott, aber auch eine Illusion zu sein, und damit in eine Dialektik der Apokalypse mit den Anderen gezogen zu werden. Noch bedeutet die/der Andere zu sein, vielfältig und ohne klare Grenze, aufgerieben und unwesentlich zu sein. Eins ist zu wenig, aber Zwei sind zu viel. Die Kultur der Hochtechnologien stellt eine faszinierend intrigante Herausforderung dieser Dualismen dar. Im Verhältnis von Mensch und Maschine ist nicht klar, wer oder was herstellt und wer oder was hergestellt ist. Es ist unklar, was der Geist und was der Körper von Maschinen ist, die sich in Kodierungspraktiken auflösen. Insofern wir uns sowohl im formalen Diskurs (d.h. Biologie) als auch in Alltagspraktiken (d.h. Hausarbeitsökonomie im intergrierten Schaltkreis) wissen, sind wir Cyborgs, Hybride, Mosaike, Chimären. Biologische Organismen sind zu biotischen Systemen geworden, zu Kommunikationsgeräten wie andere auch. Innerhalb unseres formalisierten Wissens über Maschinen und Organismen, über Technisches und Organisches gibt es keine grundlegende, ontologische Unterscheidung mehr.

Haraway, Donna: "Cyborg Manifesto" in: "Die Neuerfindung der Natur. Primaten, Cyborgs und Frauen." Frankfurt a. M. und New York 1995. S. 33–72, S. 60.



Aufnahme von "Mx.Mechanica"

"Rethinking the Performer: Towards a Devising Performance Practice" von Jennifer Torrence

Peter Swendsens und Jennifer Torrence’ Kollaboration

FOR JEN TORRENCE

für Schlagzeugsolist:in und Multimedia

Die Kernfragen dieses Stücks kreisen schon seit geraumer Zeit und gehen auf meine erste Lektüre von Donna Haraways A Cyborg Manifesto zurück, die Jen bei unserem ersten Gespräch im Jahr 2017 anregte. Wir trafen uns im Januar in Oslo, Norwegen, als ich dort für einen Kurzzeit-Kompositionsstudienaufenthalt war, der sich mit dem unseres gemeinsamen Mentors Peter Swendsen überschnitt. Ich hatte die Gelegenheit, Jen bei der Aufführung von Peters Komposition What Noises Remain zu erleben, und war nicht nur von ihrer Virtuosität beeindruckt, sondern auch von ihrer Fähigkeit, Theatralik und außermusikalische Dramatik in zeitgenössische Konzertsituationen zu bringen. Die Fragen und Provokationen, die sich nach der Lektüre von Cyborg Manifesto ergaben, haben sich seither wie ein roter Faden durch meine künstlerische Praxis gezogen und eine Reihe von musikalischen und nicht-musikalischen kreativen Ablegern hervorgebracht. Als Jen und ich uns 2023 in Darmstadt wiedertrafen, erzählte ich ihr, wie einflussreich unser Gespräch über Haraways Werk im Jahr 2017 gewesen war, und fragte sie, ob wir gemeinsam ein Stück kreieren könnten – eines, das sich mit Themen aus Haraways Manifest beschäftigt, insbesondere mit Gender, Queerness, Posthumanismus und der elektronischen Erweiterung und Vermittlung des Körpers. Dabei war ich neugierig darauf, wie wir weiterhin binaristisches Denken in Frage stellen und den Cyborg theoretisieren könnten, um Identität als fließend, partiell und konstruiert zu begreifen – nicht festgelegt oder essenziell – und grundsätzlich durch die technologische Welt vermittelt.

Im Jahr 2020 schuf ich Mx.Mechanica, ein Solostück für Schlagzeugmaschine und Performer:in, in dem ich mir den Menschen als Quasi-Automaton vorstellte – mechanisiert durch die Maschine, die er bedient. Diese Arbeit bildete die konzeptionelle Grundlage für For Jen Torrence, ein groß angelegtes Multimediastück, das diese Fragestellungen erweitert und vertieft. Auf der Grundlage von Jens einzigartiger Praxis – an der Schnittstelle von Perkussion, Körpertheater, kollaborativer Komposition und einer intensiven Auseinandersetzung mit der Queer-Theorie – entfaltet sich das Stück in einer aktivierten Landschaft, in der die Grenzen zwischen Körper und Maschine ständig verschwimmen und eine Art cyborgsche Verschränkung entsteht. Die Klangwelt umspannt ein breites Spektrum akustischer und elektronischer Musik und enthält Elemente des Hyperpop, der frühen elektroakustischen Musik, der Glitch-Ästhetik und von Kitsch durchdrungene Drum-Machine-Texturen.

Darüber hinaus fungiert das Schlagzeug als Quasi-Feedback-Maschine, wobei Jens Körper als Live-Filter fungiert – er formt, verzerrt und vermittelt die Schwingungen zwischen Mikrofonen und Lautsprechern. Die Partitur bietet eine Reihe von choreografischen und musikalischen Herausforderungen: knifflige Isolation der Gliedmaßen, metrische Modulationsübungen und virtuose Glitch-Musik-Passagen, die Jen in einer reaktiven Live-Elektronik-Umgebung an ihre Grenzen bringen. Das Stück erforscht schließlich Zustände der Überlastung, der Fragmentierung und des klanglichen Exzesses – und demonstriert die Unmöglichkeit, den menschlichen Körper vollständig zu mechanisieren.

For Jen Torrence ist nicht nur eine Meditation über Haraways Cyborg, sondern auch eine Hommage an künstlerische Verwandtschaft und Zusammenarbeit, iterative Forschung und das Potenzial der Performance als Raum zur Untersuchung von Identität, Verkörperung und unserer Verstrickungen zwischen Mensch und Maschine. Dieses Stück ist wirklich für Jen und entstand in einem wunderbaren gemeinschaftlichen Prozess, für den ich sehr dankbar bin. Der Film wurde in einem analogen, kameralosen Prozess von meiner langjährigen Freundin und Mitarbeiterin Luana Borges erstellt, deren künstlerische Stimme und visuelle Sprache ich sehr bewundere.

Kari Watson

Eintrag Fotojournal Luana Borges

Website Luana Borges

© ️Luana Borges
© ️Kelley Sheehan
© ️Kelley Sheehan
© ️Paige Critcher
© ️Camille Blake
© ️Shervin Lainez
© ️Jennifer Torrence
© ️Lua Borges