READER: OURSELVES IN THE OTHER
24.07.2025

Ashkan Behzadi: Carnivalesque (2014–16) – 9′
für Flöte (Piccolo), Bassklarinette, Percussion, Klavier, Violine, Viola & Violoncello
Elaine Mitchener: th/e s/ou/nd be/t/ween (2023) – 12′
für Contralto, Flöte, E-Gitarre, E-Bass & Percussion
Yaz Lancaster: ourselves in the other (2024) – 15′
für Flöte, Bassklarinette, Percussion, E-Gitarre, E-Bass, Klavier, Violine, Viola,
Violoncello & Elektronik
Auftrag des International Contemporary Ensemble
Corie Rose Soumah: Tossed Parachutes of Lilacs and Lungs (2025) – 12′
für Flöte, Klarinette, Percussion, E-Gitarre, Klavier, Violine, Viola,
Violoncello & Elektronik
Uraufführung
Auftrag der Darmstädter Ferienkurse und des Earle Brown Music Foundation Charitable Trust
Marcos Balter: Árvore (2025) – 10′
für Flöte, Klarinette, Percussion, E-Gitarre, E-Bass, Klavier, Violine, Viola,
Violoncello & Elektronik
Uraufführung
Auftrag des International Contemporary Ensemble, der Darmstädter Ferienkurse und des
Earle Brown Music Foundation Charitable Trust
Elaine Mitchener (Stimme)
International Contemporary Ensemble:
Alice Teyssier (Flöte)
Campbell MacDonald (Klarinette)
Daniel Lippel (E-Gitarre)
Randy Zigler (Kontrabass & E-Bass)
Erika Dohi (Klavier)
Modney (Violine)
Gabriela Diaz (Violine)
Kyle Armbrust (Viola)
Kivie Cahn-Lipman (Violoncello)
Nathan Davis (Percussion & Elektronik)
Ross Karre (Percussion & Elektronik)
Rebekah Heller (Musikalische Leitung)
Kleines Q&A mit Modney (Violinist des International Contemporary Ensemble)
Was sollten junge Musiker:innen möglichst tun?
Ich würde junge Musiker:innen dazu ermutigen, künstlerische Kooperationen mit Gleichaltrigen einzugehen. Mentor:innen sind ebenfalls wichtig, aber Beziehungen zu Gleichaltrigen sind die wichtigste Triebkraft für musikalische Kreativität. Gründet ein Ensemble, habt Spaß daran, gemeinsam Musik zu machen, knüpft Kontakte zu Freund:innen, die euch inspirieren! Gute Musik erfordert Vertrauen, und es ist hilfreich, wenn die Menschen, die sie machen, sich kennen, respektieren und mögen. Findet eure Leute!
Braucht Musik einen sicheren Ort, einen „Safe Space“?
Musik und Kunst müssen von der Gesellschaft gewertschätzt werden.

CARNIVALESQUE
Ashkan Behzadi: „Es ist ein sehr einfaches Stück. Ich habe nur ein Zitat als Programmnotiz:
„Karnevalistisches Lachen richtet sich an etwas Höheres – auf einen Wandel der Autoritäten und Wahrheiten, einen Wandel der Weltordnungen.“
Mikhail Bakhtin
THE/E SO/OU/ND BE/T/WEEN
the/e so/ou/nd be/t/ween wurde vom britischen Ensemble The Hermes Experiment in Auftrag gegeben und am 24. September 2023 im Purcell Room des Southbank Centre in London uraufgeführt. Das Material besteht aus einer einseitigen grafischen Partitur mit Zeitangaben, wobei die Segmente immer kürzer werden und die Gesamtdauer zehn Minuten beträgt. Ich finde grafische Notation eine effektive Methode, um neue Möglichkeiten in der Instrumentalaufführung (natürlich einschließlich der Stimme) zu entdecken und die Fantasie bei der Suche nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten zu beflügeln. Der Titel bietet den Spieler:innen einen weiteren Anreiz: „Das Werk erfordert Offenheit für die Suche nach den Klängen im Dazwischen.“
Elaine Mitchener

OURSELVES IN THE OTHER
„Herrschaftskulturen stützen sich auf die Schürung von Angst, um Gehorsam zu gewährleisten… Angst ist die treibende Kraft, die Herrschaftssysteme aufrechterhält. Sie fördert das Verlangen nach Abgrenzung, den Wunsch, nicht erkannt zu werden. Wenn uns beigebracht wird, dass Sicherheit immer in der Gleichheit liegt, dann erscheint jede Art von Unterschiedlichkeit als Bedrohung. Wenn wir uns für die Liebe entscheiden, entscheiden wir uns dafür, gegen die Angst anzukämpfen – gegen Entfremdung und Abgrenzung. Die Entscheidung für die Liebe ist die Entscheidung für die Verbindung – dafür, uns selbst im anderen wiederzufinden.“
bell hooks, All About Love
ourselves in the other ist eine moderne Liebesgeschichte in vier Teilen. Sie durchläuft die Phase der Verliebtheit, den Aufbau einer Verbindung und das gemeinsame Wachsen, die Bewältigung von Konflikten und schließlich die Erinnerung an eine vergangene Beziehung. Musikalisch bewegt sie sich in Klangräumen, die verschiedene Aspekte der Intimität heraufbeschwören – verschwommene Ambient-Beats, die an die Berührung einer geliebten Person erinnern, Loops und Samples, die das Leben einer Erinnerung verlängern, sowie eine Mischung aus Klangfarben und Instrumenten, die an die Verschmelzung einst getrennter Leben erinnern.
Yaz Lancaster
Die Premiere durch das International Contemporary Ensemble wird eine Sample-Bank aus Interviews mit unterschiedlichen Personen über vergangene und aktuelle Beziehungen enthalten – zusammen bilden sie ein mögliches Narrativ. Für zukünftige Aufführungen können sie ihre Geschichten und Recordings austauschen und somit jede Performance individuell anpassen.

TOSSED PARACHUTES OF LILACS AND LUNGS
Tossed Parachutes of Lilacs and Lungs entstand in einer Phase meines Lebens, in der ich nach Momenten der Spiritualität im Sinne von bell hooks suchte. Jedes Wort des Titels wird auf seine eigene Weise dargestellt, gesammelt in fünf unterschiedlichen Szenen. Diese zeigen Momente persönlicher Wunder, entweder durch lebhafte Bilder oder einfach durch eine Resonanz, die etwas in mir angestoßen hat. Ich hatte schon immer ein Faible für Vielfältigkeit, von der ich auch hier nicht abrücke. Die Vielfalt begegnete mir in kleinen alltäglichen Wundern. Hier sind ein paar davon:
; die Poesie von Nicky Beer
; der Geschmack von Clementinen auf der Zunge
; die Saiten der Kora
; die Spitze eines Eisbergs
; das verblasste Licht auf grünen Blättern
Das Stück ist George Lewis und dem International Contemporary Ensemble gewidmet.
Corie Rose Soumah



ÁRVORE
Im Mémorial ACTe auf Guadeloupe, einem Museum über die Geschichte des transatlantischen Sklavenhandels, stand ich still vor einer lebensgroßen Nachbildung eines Baumes des Vergessens. In manchen Teilen Afrikas hängten die Gefangen einst persönliche Wertgegenstände an die Äste solcher Bäume und umkreisten sie. Dabei versetzten sie sich in eine Trance, mit der sie ihre Namen, Erinnerungen, ihr Selbst auslöschen und die traumatische Abwertung vom Menschen zur bloßen Fracht abzumildern. Ich betrauerte meine Vorfahren und empfand die bittere Ironie, dass ein Baum, der so tief mit Wurzeln, Abstammung und Erinnerung verbunden ist, als Instrument der Auslöschung verwendet wurde. In Árvore (das portugiesische Wort für Baum) werden diese Bäume nicht nur als Hüter einer schmerzhaften Vergangenheit imaginiert, sondern als fruchtbare Organismen verstanden. Aus diesen werden befreite Versionen der Gefangenen wiedergeboren, nicht länger ihrer selbst beraubt, sondern gestärkt durch die Kraft der Verwandtschaft und der kollektiven Erinnerungen. Innerhalb des Werks unterstreicht ein Zitat aus einem afro-brasilianischen Gesang für den Yoruba-Orixá Oxumarê, der oft mit Bewegung, Transformation und Dauerhaftigkeit in Verbindung gebracht wird, die Idee der Verwurzelung und Erneuerung – wobei das, was eigentlich vergessen werden sollte, zu einer Quelle neuen und erweiterten Lebens wird.
Marcos Balter