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READER: INVISIBLE COLORS

10.08.2023

Irvine Arditti

Olga Neuwirth: Quasare/Pulsare (1995/6)
Brian Ferneyhough: Unsichtbare Farben (1999)
Iannis Xenakis: Dikhthas (1979)
Brice Pauset: Cadenza (2020)
James Dillon: Traumwerk III (2002)

Irvine Arditti (Violine)
Nicolas Hodges (Klavier)

Olga Neuwirth: Quasare/Pulsare

Olga Neuwirths Vorliebe für die Veränderung von Klängen macht auch vor dem eher schwierig manipulierbaren Klavier nicht Halt. Als gleichberechtigten Duopartner stellt sie es in Quasare/Pulsare für Violine und Klavier dem leichter beeinflussbaren und in seiner Stimmung bereits modifizierten Streichinstrument gegenüber. Indem sie ausgewählte Saiten mit Materialien wie Silikonbällchen und Schaumstoff präpariert, schafft die Komponistin gezielt Verstimmungen, mit denen sie in den Klavierklang eingreift; durch verschiedene Aktionen des Pianisten werden zudem das Instrumenteninnere und andere Bauteile in die Musik einbezogen. Ausgehend vom Klang einer Klaviersaite, die durch einen e-Bow angeregt wird – einer Art Tonabnehmer, der durch elektromagnetische Einwirkung ein Feedback auf einer Metallsaite erzeugen kann, dessen Klangqualität an einen Sinuston erinnert -, ergibt sich der formale Aufbau des Stückes aus der Abfolge wellenförmig ausgestalteter Klangraumbewegungen von unterschiedlicher Dichte und Intensität, die am Ende wieder in die artifizielle Klangqualität des Anfangstones zusammengefaltet werden.

Brian Ferneyhough in Darmstadt 1990

Brian Ferneyhough: Unsichtbare Farben

Ein Auftragswerk des WDR

Ich war schon immer von den manchmal problematischen, aber immer anregenden Parallelen zwischen musikalischen und außermusikalischen Wahrnehmungsweisen fasziniert. In diesem Sinne sind die Titel meiner Werke nicht selten so gewählt, dass sie zumindest ein wenig Licht auf die Grenzen und das Wesen der jeweiligen diskursiven Modelle werfen. In vielen surrealistischen Gemälden steht der Titel in einer auffallend gebrochenen oder diskrepanten logischen Beziehung zum Bild, wodurch der Betrachter für die unsichtbare Präsenz eines komplexen Feldes semantisch aktiver Energien sensibilisiert wird. Einem der berühmtesten Aussprüche von Marcel Duchamp zufolge nimmt der Titel eines Gemäldes somit den Status einer „unsichtbaren Farbe“ an, den der Imagination, die unsere unterschwellig spekulativen Wahrnehmungen irgendwo jenseits der Grenzen des dem Auge zugänglichen Spektrums verstärkt und bereichert. Im Falle dieser kurzen Komposition für Violine schien es angebracht, die verschiedenen Grade der „Unsichtbarkeit“, der Abwesenheit oder des Auslöschens, die mit dem Kompositionsprozess verbunden sind, durch einen Titel zu evozieren, der selbst unter einer radikalen strategischen Ungewissheit leidet, die einen Grad entfernt ist.

In gewissem Sinne könnte man Unsichtbare Farben als die „Spitze des Eisbergs“ betrachten, insofern als die große Menge an Material, die in seine Vorbereitung eingeflossen ist, nirgendwo im musikalischen Phänomen selbst auftaucht, da sie durch eine formale Filterung unterdrückt wurde, die strukturell gleichwertige Elemente aus einer relativ großen Anzahl durchkomponierter Schichten auswählt und verschachtelt.

Dementsprechend ist die Entfaltung der Argumentation des Werks in erster Linie durch eine Reihe rhetorischer Brüche gekennzeichnet, da kurze Fragmente von ansonsten nicht greifbaren Prozessen abrupt aufgerufen und ebenso plötzlich verlassen werden. plötzlich verlassen werden.

– Brian Ferneyhough, 1998

„Unsichtbare Farben“ ist in erster Linie eine Hommage an die brillante Kunst des ganz besonderen Geigers Irvine Arditti, dem dieses Solostück auf den Leib komponiert wurde.

Irvine Arditti


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Irvine Arditti

Iannis Xenakis: Dikhthas

Jahrzehnte nach dem Skandal bei der Uraufführung seines ersten Orchesterwerks Metastaseis in Donaueschingen 1955 stellt sich die Musik von Iannis Xenakis dem Hörer auch heute noch in verwirrender Dichotomie dar: Die Bestandteile scheinen eine Überfülle wissenschaftlicher und mathematischer Formulierungen auszumachen. Seit den frühesten Formulierungen von Musiktheorien durch Aristoxenos und Euklid sind Musik und Mathematik aufs Engste verbunden gewesen. Im mittelalterlichen Europa gehörten zum Musikstudium an einer Universität automatisch die Fächer Arithmetik, Geometrie, Architektur und Astronomie.

Iannis Xenakis in Darmstadt 1972

James Dillon: Traumwerk III

Gewidmet Richard Steinitz

Ein Auftragswerk von BBC 3 für Irvine Arditti und Noriko Kawai

Dillons Musik ist voller Komplexität: ein Vokabular, das komplexe rhythmische Muster und Mikrotöne als selbstverständlich voraussetzt, und die Forderung nach einer bestimmten Art von akrobatischer Instrumentalvirtuosität. Die ausgedehnte Reihe von Stücken, die das Traumwerk III bildet, veranschaulicht all diese Merkmale sowie eine Klarheit des Ausdrucks und eine intellektuelle Strenge, die ebenfalls typisch für Dillons Werke sind, die es nie zulassen, dass ihr viszeraler Überschwang ihre intellektuelle Strenge überwältigt, ein Vorwurf, der gegen bestimmte Ergüsse der Anhänger der Neuen Komplexität erhoben werden könnte. Das Werk wurde für Irvine Arditti geschrieben, mit dem Dillon seit langem zusammenarbeitet, und Ardittis besonderer Stil des geigerischen Hochseilakts prägt zweifellos die Texturen der Musik.

Der Titel Traumwerk stammt von Albrecht Dürers Beschreibung seiner rätselhaften und originell verspielten Marginalien“, die er für das von Kaiser Maximilian 1515 in Auftrag gegebene Gebetbuch entwarf.

Wer Traumwerk machen will, muss alle Dinge miteinander vermischen.

Albrecht Dürer

Wie die vorangegangenen Bücher von Traumwerk (Buch I für zwei Violinen, Buch II für Violine und Cembalo) besteht auch Buch III aus zwölf kurzen Stücken, deren Länge von nur 35 Sekunden (das sechste Stück) bis zu 3 Minuten (das Eröffnungsstück) reicht. Doch obwohl es sich um „Miniaturen“ handelt, ergeben sie zusammen ein beachtliches, halbstündiges Werk. Von Anfang an fällt etwas auf, das für Dillons Werk aus dieser Zeit sehr charakteristisch ist: ineinander greifende Ostinati, einige regelmäßig, andere keineswegs. Auf einer gewissen Ebene könnte man sich diese Stücke abstrakt als Studien über rätselhafte Wiederholungen vorstellen. Aber was könnte das noch bedeuten? Sicherlich auf Zaubersprüche: Dürers Zeitalter bewegte sich zwischen Wissenschaft und Aberglauben, und viele dieser kleinen Stücke haben etwas Hypnotisches und „Unheimliches“ (sowohl im freudschen als auch im normalen Sinne), das an eine Ansammlung magischer Beschwörungen erinnert.

– Richard Toop, 2008

© ️Kristof Lemp
© ️IMD Archiv/ Manfred Melzer 1990
© ️Irvine Arditti
© ️Kristof Lemp
© ️IMD Archiv/ Pit Ludwig 1972
© ️IMD Archiv/ Pit Ludwig 1972